Leo Fellinger – Suche als Prinzip

© Herbert Rohrer

Leo Fellinger schreibt Bücher. Soeben ist der wunderschöne Prosa-Bildband „Ich ist der Andere“ erschienen. Aber er schreibt nicht nur: Leo Fellinger fotografiert, vermittelt Kunst und Kultur, ist Sänger, bildender Künstler, Radiomacher und u. a. Experte in Sachen Elektromobilität. Wir haben den Tausendsassa zum Gespräch gebeten.



Gelernter Lithograf, Fotograf, Autor, Kunst- und Kulturvermittler, Sänger, bildender Künstler, Radiomacher, ehem. Chief Creative Officer, Experte in Sachen Elektromobilität – gibt es auch etwas, das Du nicht machst?

Das klingt viel, ich weiß, aber am Ende ist es gut einzuordnen. Alle diese Tätigkeiten haben im weitesten Sinne mit Kunst und Kreativität zu tun. Das ist meine Leidenschaft. In diesem Sinne unterscheiden sich für mich die einzelnen Genres nicht so sehr wie für den Betrachter. Ich bin immer interessiert an dem Neuen, dem Anderen – da kann man mich vielleicht als unverbesserlichen (An-)Triebtäter betrachten. Und was ich nicht mache? Die Liste ist lang. Ich würde gerne musikalisch noch einiges machen, ein, zwei Instrumente besser spielen, meine Fremdsprachen-Kompetenz erschöpft sich im Englischen und bestenfalls der italienischen Speisekarte. Und über Sport will ich gar nicht erst reden….

Und wie bringst Du alle Deine „Ichs“, auf die Du auch in Deinem Vorwort in Deinem kürzlich erschienenen Buch „Ich ist der Andere“ anspielst, zusammen?

Das Schwierigste dabei ist, anderen Menschen auf Anhieb zu vermitteln, wen man in einem Gespräch meint, wenn man ICH sagt. Für mich ist es einfach, ich wechsle ständig zwischen diesen ICHs, manchmal befruchten sie sich auch gegenseitig, das Schönste dabei: Langeweile ist ein Fremdwort.

Nimm die Leser*innen dieses Blogposts mit: Welcher Prozess geht dem Niederschreiben eines Briefes an Dich selbst voraus? Wie offenbart sich Dir die Welt bis hin zu dem Entschluss, diese Wahrnehmung festzuhalten – sei es in Briefform oder als Fotografie?

Jeder Brief hat seine eigene Geschichte, eine Geschichte, die aus einer spontanen Inspiration heraus entsteht, voller Ideen und Fragen, Zweifel und Gewissheiten, denn Schreiben ist mitunter ein nicht immer geradliniger Prozess, manchmal einsam und unabdingbar interaktiv zugleich. Und es gibt nicht nur die eine Geschichte, diesen einen Brief. Manchmal fließen sie ineinander, weil ein Brief an einem Ort geschrieben wird, aber von einem anderen erzählt. Dazu kommt, dass ich eigentlich immer in Bildern denke, die Fotografien entstehen ganz ähnlich.


Wer staunt, gibt sich dem schwer zu beschreibenden Gefühl hin,

an etwas teilzuhaben, das größer ist als man selbst.“


Das Staunen ist ein Leitmotive, das sich bei Dir durchs Leben und Dein Werk zieht: Wie behältst Du es Dir bei?

Das Staunen kann man nicht lernen, das ist da oder auch nicht. Ich gehöre zu den Glücklichen, denen das Staunen in die Wiege gelegt wurde und die diese Ressource niemals verloren haben. Wer staunt, gibt sich dem schwer zu beschreibenden Gefühl hin, an etwas teilzuhaben, das größer ist als man selbst, oder anders gesagt, man hält sich selbst nicht mehr für den Mittelpunkt der Welt. Das öffnet den Blick nach außen, lässt einem manchmal Dinge wahrnehmen, an denen ein Nicht-Staunender einfach vorübergeht. Für mich eine wichtige Grundlage für das Sehen, das ja dem Schreiben oder Bildermachen vorausgeht.

Welche Deiner vielen Reisen hat Dich bisher am meisten geprägt?

Das ist sehr schwer zu sagen. Jede Destination hat etwas Eigenes, etwas Besonderes. Dennoch waren es immer die Orte, die ich mit viel Literatur hinterlegt hatte. Vicki Baum zum Beispiel. Ich habe das Buch „Liebe und Tod auf Bali“ während unserer Reise durch Bali gelesen und auf die Weise mehr von dieser Kultur gelernt als durch jeden Reiseführer. Oder Kuba, da hebe ich alles, was an zeitgenössischer (und zum Teil verbotener) Literatur besorgt – das war mein Führer durch das so schwierige, so gespaltene Land. Ja, das kann ich so sagen: Die Ziele waren die schönsten, über die es etwas Relevantes zu lesen gab.

Welcher war der größte Abweg in Deiner beeindruckenden Biografie? Bist Du schon einmal an Deinem Suchen – ein weiteres Leitmotiv – gescheitert?

Wenn man akzeptiert, dass man im Leben am meisten aus den eigenen Fehlern lernt, heißt das noch nicht, dass man sich gerne daran erinnert. Natürlich bin ich oft gescheitert. Wenn man neue Wege sucht, ist sicher nicht jeder der richtige. Aber es geht nicht um das Ergebnis, nicht ums Scheitern. Am meisten lernt man aus der Suche, das ist meine Erkenntnis. Ausgangsoffen.  Dazu kommt, dass ich ein sehr in die Zukunft orientierter Mensch bin und mein Blick nach hinten immer sehr unscharf ist. Aber um die Frage korrekt zu beantworten: Ja, ich bin so oft gescheitert wie jeder andere auch, aber ich habe – wie viele andere auch – gelernt. Hoffentlich.


Leo Fellinger, 1955 in Salzburg geboren; Ausbildung als Lithograf und Reprofotograf, schon während dieser Zeit erste Erfahrungen und Experimente mit dem Genre Fotografie, in der Folge Auseinandersetzung mit neuen Techniken und neuen Ausdrucksformen: das fotografische Bild in Kontext mit Lyrik, Tönen und laufenden Bildern. Ausstellungen in Salzburg, Krems, Tulln und Graz, Triest, München, Shanghai. Gründung des Kunstförderung-Projektes „temporary gallery“ in Salzburg, Aufbau eines Zentrums für zeitgenössische Kultur in Seekirchen. Herausgeber zweier Anthologien im Otto Müller Verlag: „Auf der Suche nach der Inspiration des Ufers“ und „Erzählte Landschaft“. Soeben erschienen: „Ich ist der Andere


Leopold Fellinger im Radio und Live:



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