Erwachsenwerden in Buchform: der Coming-of-Age-Roman

© Otto Müller Verlag

To come of age = erwachsen/volljährig werden – und um nichts Anderes geht es in Coming-of-Age-Geschichten: Wir begleiten einen Charakter im Verlauf des Buches von Kindheit über Jugend bis zum (jungen) Erwachsenenalter.
Doch woher kommt diese Art von Geschichte eigentlich? Und was fasziniert Autor:innen und Leser:innen daran?

Ein schüchterner Junge, der über die Jahre an Selbstvertrauen gewinnt; eine junge Frau, die endlich die Geschehnisse ihrer Kindheit hinter sich lassen kann; ein junger Mann, der trotz schöner Kindheit nicht Fuß fassen kann im Erwachsenenleben: Coming-of-Age-Geschichten können ganz unterschiedliche Formen annehmen. Trotzdem haben sie alle eines gemeinsam: die Entwicklung ihrer Protagonist:innen. Bei dem Wort ‚Entwicklung‘ könnte bei der ein oder anderen literaturhistorisch-affinen Person nun ein Licht angehen: denn im Grunde ist der Vorgänger des Coming-of-Age-Romans der Entwicklungs- oder Bildungsroman.

Diese Art von Roman verknüpfen viele von uns mit dem Deutschunterricht, Büchern wie Wilhelm Meisters Lehrjahre (1795/96) von Johann Wolfgang von Goethe oder Geschichte des Agathon (1766/67) von Christoph Martin Wieland – und mit Anstrengung. Denn allein die Genrebeschreibung Bildungs– oder Entwicklungsroman klingt schon irgendwie mühsam und nicht unbedingt nach dem größten Lesevergnügen.

Daher übernahm die Literaturwelt kurzerhand den Begriff coming of age, der in der Filmbranche schon länger gang und gebe ist, um solche Geschichten des Erwachsenwerdens zu beschreiben – und wie wir alle wissen: Englische Wörter wirken einfach cooler (beabsichtigte Wortwahl) und steigern somit das Interesse.

Doch was bringt eine:n Autor:in dazu, die (oftmals) langjährige Entwicklung ihrer Protagonist:innen als Hauptthema des eigenen Romans zu wählen? Minu Ghedina, Autorin zweier Coming-of-Age-Romane, erklärt ihren Zugang zum Genre so:

„Ich finde es sehr spannend, Entwicklungen aufzuzeigen, den Weg des Herauskristallisierens der eigenen Persönlichkeit, die in uns ruht, aufzuschlüsseln, sozusagen nachzuvollziehen, wie wir geworden sind und warum wir so und so handeln.

Zu ihren beiden Coming-of-Age-Romanen meint sie folgendes:

„In Die Korrektur des Horizonts war mir wichtig zu beschreiben, wie sehr unsere Kindheit, unsere Erlebnisse, unsere Traumata unser Leben prägen, unser Handeln und Denken und die sozialen Fähigkeiten beeinflussen, aber auch, dass man sich aus Wirrnissen bis zu einem gewissen Grad befreien und daraus auch Kraft schöpfen kann.
Im zweiten Roman Am Rande das Licht hat der Protagonist zwar eine sehr stabile Kindheit, die ihn aber nicht schützt vor den großen Herausforderungen, mit denen junge Menschen im Moment besonders kämpfen müssen und trotz einer stärkenden Kindheit sich verlieren können und es oft kein einfacher Weg ist, darin seine eigene Identität zu definieren.“

Und was fasziniert Leser:innen an dieser Art von Geschichte? Oft ist es die Universalität, schließlich sind wir alle einmal erwachsen geworden (oder werden es noch) und haben vielleicht ähnliche Ereignisse erlebt oder Probleme durchgemacht. Besonders, wenn es eine Geschichte ist, die sich mit marginalisierten Identitäten (z.B. im Bezug auf Sexualität, Herkunft oder Geschlecht) beschäftigt, bietet sie Lesenden einen Ort der Identifikation und kann sogar einen Diskurs über diese Themen anregen. Außerdem geben einem (positive) Coming-of-Age Geschichten während und vor allem nach dem Lesen ein gutes Gefühl, da man den Charakter bei seiner/ihrer Entwicklung begleitet hat und diese mit ihm/ihr zu Ende gebracht hat – und wir alle lieben doch ein Erfolgserlebnis, nicht wahr?

Übrigens: Zwei weitere Beispiele für Coming-of-Age-Geschichten in unserem Verlag sind Trabant von Stefan Sommer oder Verpuppt von Ana Marwan.



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